EINE LIEBE IN JERUSALEM

Prolog, Jerusalem, 2010

Jerusalem, Hiskija-Tunnel. Gemächlich schlendere ich den Hügel Richtung Siloah-Teich hinauf, bleibe immer wieder stehen und versinke in den Eindrücken, die sich mir bieten. Von ganz oben grüßt majestätisch die Maria-Magdalena-Kirche mit ihren sieben vergoldeten Zwiebeltürmen und den Kreuzen obendrauf. Irgendwann realisiere ich, dass meine Gruppe verschwunden ist. Ich habe den Anschluss verloren. Suchend drehe ich mich um. Ah, ganz alleine bin ich doch nicht. Dort drüben steht Philipp, ein anderer Teilnehmer aus unserer Gruppe, und wartet – scheinbar auf mich. Als er meine suchenden Blicke bemerkt, kommt er langsam auf mich zu. Ich frage ihn, wo die anderen sind. Er gibt keine Antwort, aber unsere Blicke treffen sich kurz, und es scheint, als hätten sich unsere Seelen kurz berührt. Den Hauch einer Sekunde glaube ich, etwas zu spüren. Trauer? Unglück? Schmerz? Ich messe der Begegnung keine weitere Bedeutung zu. Jahre später werde ich mich an diesen Blick erinnern.

Schweigend gehen wir nebeneinander her, und ich denke mir, dass er ein sehr feinfühliger und respektvoller Mensch sein muss. Er hat gesehen, dass ich in Gedanken versunken war, und still gewartet, bis ich wieder im Hier ankam. Mit zügigen Schritten suchen wir Anschluss an unsere Reisegruppe.

Peter, mein Mann, hat nicht bemerkt, dass ich verloren gegangen bin. Er ist schwerhörig und deshalb immer ganz vorne beim Guide.

Philipp kennt diese Reise und den Guide schon länger, deshalb hat dieser ihn beauftragt, darauf zu achten, dass keines der Schäfchen verloren geht. Während der weiteren Reise schwatze ich mit allen Teilnehmern, tausche mich aus, aber von Philipp nehme ich keine Notiz mehr. Es ist mit ihm, als wäre er da, aber nicht dabei. Ruhig, zurückhaltend, verschlossen.

Leseprobe »Eine Liebe in Jerusalem«

Autor Mara Rüegg
Ausgabe 1. Auflage 2018
Format 12 x 19 cm
Preis CHF 15.00/EUR 10,50
ISBN 978-3-03827-016-4